Für ein starkes Miteinander in Rheinland-Pfalz
Seit 100 Tagen hat die Diakonie den Vorsitz in der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz.

Im Interview sprechen die Geschäftsführer*innen der Arbeitsgemeinschaft Diakonie in Rheinland-Pfalz, Pfarrer Albrecht Bähr, und Heike Moerland, außerdem Geschäftsfeldleitung bei der Diakonie RWL, über die aktuellen sozialen Herausforderungen im Land und warum die Diakonie gerade jetzt als starke Stimme für Teilhabe, Gerechtigkeit und Demokratie gebraucht wird.
Herr Bähr, Sie sind nun seit 100 Tagen Vorsitzender der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Rheinland-Pfalz. Was ist die Aufgabe der LIGA und wie gestalten Sie Ihre neue Rolle?
Albrecht Bähr: Die LIGA versteht sich als Anwältin der Schwachen, deren Aufgabe es ist, soziale Teilhabe zu ermöglichen und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt eine starke Stimme zu geben. Dabei ist eine verlässliche Kooperation von entscheidender Wichtigkeit – etwa mit der Landesregierung und den Kommunen. Gemeinsame Aktionen wie die im vergangenen Jahr gefahrene Kampagne "Einsatz zeigen. Wert schätzen." unterstreichen den Willen zum partnerschaftlichen Dialog, um konkrete Verbesserungen für die Menschen in Rheinland-Pfalz zu erreichen.
In meiner Rolle als LIGA-Vorsitzender möchte ich mich als Anwalt der Schwachen positionieren und aktiv dazu beitragen, dass allen Menschen in Rheinland-Pfalz Schutz und Würde zuteilwerden – unabhängig von Herkunft, Alter oder sozialem Status.
Ich verstehe mich dabei ausdrücklich nicht als parteipolitischer Akteur, sondern als Demokrat, der mit allen demokratischen Kräften zum Wohl der Gesellschaft zusammenarbeiten will.
Welche Themen haben Ihre ersten Wochen als Vorsitzender geprägt?
Bähr: Als Vorsitzender der LIGA stehe ich vor vielen schwierigen Aufgaben, die das soziale Miteinander im Land stark beeinflussen. Zentrale Themen meiner Anfangszeit sind der Schutz demokratischer Werte, das Engagement gegen jede Form von Stigmatisierung und Ausgrenzung sowie der Einsatz für eine gerechte und solidarische Gesellschaft.
Was bedeutet es für die Diakonie, dass wir nun der LIGA vorstehen?
Bähr: Der Vorsitz durch die Arbeitsgemeinschaft Diakonie in Rheinland-Pfalz ist ein starkes Zeichen für werteorientiertes und menschenzentriertes Handeln. Er erlaubt es, christlich-diakonische Perspektiven in politische Prozesse einzubringen. Es geht dabei nicht um parteipolitische Nähe, sondern um ein tiefes Verständnis von demokratischer Verantwortung und praktischer Nächstenliebe, welches die Diakonie glaubwürdig vertritt.
Heike Moerland: Die Stärke der LIGA ist, dass alle Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege gemeinsam agieren und als Gemeinschaft der Verbände Ansprechpartnerin für Politik, Gesellschaft und Verwaltung ist. Mit dem LIGA-Vorsitz geht auch einher, dass der federführende Verband stärker in den Blick gerät. Von diesem Rampenlicht profitieren auch unsere Mitglieder auf rheinland-pfälzischem Boden mit ihren guten Angeboten und Arbeitsschwerpunkten.
Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell in Rheinland-Pfalz?
Bähr: Besonders besorgniserregend ist die wachsende Armut älterer Menschen, die zunehmend an gesellschaftlicher Teilhabe verlieren und verstärkt auf Unterstützung angewiesen sind. Auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe besteht akuter Handlungsbedarf: Es fehlt vielerorts an Kita- und Ganztagsschulplätzen, und die Hilfen zur Erziehung sind oftmals unzureichend ausgestattet, um dem tatsächlichen Bedarf gerecht zu werden. Die Themen Migration und Integration stellen ebenfalls eine dauerhafte gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar, die nicht nur rechtliche und finanzielle, sondern auch menschliche und soziale Antworten erfordert. Hinzu kommen strukturelle Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung – insbesondere in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz – sowie die zunehmende Belastung der kommunalen Haushalte durch stetig steigende Sozialausgaben.
Moerland: Die Wahlergebnisse der Bundestagswahl müssen uns auch in Rheinland-Pfalz aufhorchen lassen. Der Wunsch, sich einer gesellschaftlichen Gruppierung zugehörig zu fühlen, ist zutiefst menschlich. Gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden, der öffentlichen Hand und den demokratischen Parteien müssen wir daran arbeiten, dass Rheinland-Pfalz ein lebendiges und vielfältiges Land bleibt, in dem sich alle Menschen willkommen und wohl fühlen können. Quartiersarbeit und Armutsprävention sind wesentliche Elemente, um die soziale Infrastruktur zu erhalten und damit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine starke Demokratie zu schaffen. Besondere Herausforderungen gibt es in den ländlichen Gebieten in Hinblick auf Mobilität und die Verfügbarkeit sozialer Infrastruktur. Ein Thema, das uns zukünftig noch mehr beschäftigen wird, sind die Auswirkungen von Einsamkeit auf das soziale Miteinander und die psychische und körperliche Gesundheit.
Bähr: Angesichts dieser Herausforderungen setzte ich klare Schwerpunkte für meine Amtszeit: Ich strebe einen offenen, lösungsorientierten Dialog mit allen relevanten Akteur*innen an – mit dem Land, den Kommunen, Sozialkassen, Ämtern, Unternehmen und Gewerkschaften. Nur in einem solchen partnerschaftlichen Miteinander können tragfähige, langfristige Lösungen entwickelt werden. Ein zentrales Ziel ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Menschen dazu befähigen, ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben zu führen – mit Resilienz gegenüber den Herausforderungen des Alltags. Dabei verstehe ich politische Mitgestaltung ausdrücklich als Aufgabe auf Augenhöhe, jenseits ideologischer Schranken. Es geht mir um pragmatische, menschenzentrierte Lösungen, die dem Gemeinwohl dienen und den sozialen Zusammenhalt in Rheinland-Pfalz stärken.
Frau Moerland, welche Schwerpunktthemen erwarten uns in den nächsten Jahren als Diakonie RWL in Rheinland-Pfalz?
Moerland: In diesem Jahr legen wir für unseren gesamten Verband den Schwerpunkt auf die Stärkung der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das gilt natürlich auch für unsere Arbeit in Rheinland-Pfalz. Rheinland-Pfalz ist eines der wenigen Bundesländer, in dem wohnungslose Menschen bei Kommunalwahlen kein Wahlrecht haben. Das diskriminiert die Wohnungslose und verstößt gegen den Grundsatz der allgemeinen Wahl. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf.
Es gibt natürlich noch andere Themen: In unserem Verbandsgebiet liegen die rheinland-pfälzischen Gebiete des Hochwassers im Jahr 2021. Die Nachwirkungen der Flutkatastrophe beschäftigen die Menschen und unsere Träger vor Ort noch heute. Wir setzen vermehrt auf die Quartiersarbeit und helfen, Gemeinschaften zu stärken und wieder aufzubauen. Ein weiteres Beispiel ist die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen, vor allem – aber nicht nur – in ländlichen Gebieten. Trotz einzelner Schwerpunkte wollen wir die diakonischen Dienste in ihrer ganzen Vielfalt so stärken, dass sie auch in Zukunft das gesellschaftliche Leben in Rheinland-Pfalz mitgestalten können.
Die Fragen stellte Jana Hofmann. Fotos: Diakonie RWL, LIGA Rheinland-Pfalz, Diakonie Deutschland